Das Beil von Wandsbek - Roman 1938-1943 by Aufbau

Das Beil von Wandsbek - Roman 1938-1943 by Aufbau

Autor:Aufbau [Aufbau]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2014-09-26T04:00:00+00:00


Zweites Kapitel

Das Innere der Erde

Nach Neujahr tritt im Geschäftsleben eine stillere Zeit ein. Die Käufer haben ihr Geld ausgegeben, und die Geschäftsleute müssen Inventur machen, Gewinn und Verlust berechnen, Steuern erklären und ihre Angestellten auf Urlaub schicken, wenn sie welche haben. Albert Teetjen überließ diesen Teil des Alltags seiner Stine, die dazu von Natur besser taugte. Er seinerseits benutzte diese Tage für das, was er seit einiger Zeit seinen eigentlichen Beruf nannte, zur Vertiefung in die Rutengängerei. Es gab doch sicherlich Bücher, die einen Mann über das Innere der Erde aufklärten; man konnte sie aus einer Volksbibliothek entleihen und wußte dann besser, woran man war. Ohnehin war die Stine bei der nächstgelegenen Ausgabestelle eingeschrieben und konnte jede Woche tauschen. Und zu was Ende saß oben in der Dachkammer Tom Barfey und wußte tadellos Bescheid – froh, sich für leibliche Genüsse mit Ratschlägen revanchieren zu können, die das andere Gebiet betrafen, das geistige, das gedruckte?

Tom lächelte befriedigt, als Stine ihm Alberts Anliegen vorbrachte. Natürlich dachte er gar nicht daran, dem Beilschwinger wirklichen Aufschluß über das zu vermitteln, was die volkstümlich schreibenden Naturforscher dem Verständnis allgemeiner Leserschaften darboten. Ausdrücke wie Magma und zähflüssige Kieselsäure gingen solchen Alberts ja ohnehin über den Horizont. Und was die Naturforscher über den Eisenkern der Erde und die beständige Zunahme von Temperatur und Druck wußten, über Erdmagnetismus und das Auseinanderliegen von magnetischem und physikalischem Nordpol, damit konnte ein Teetjen doch gar nichts anfangen. Was hatte solch ein geschwungener Schnurrbart in den Gehegen der Wissenschaft zu suchen? Aber abgesehen von der Freude, daß Stine an seinem Tisch saß und sein Kohlenöfchen lobte, die behagliche Wärme unterm Dach, und wie er die Fugen des großen Fensters mit Zeitungspapier weislich abgedichtet – er hatte ein Buch für den Albert Teetjen! »Reise nach dem Mittelpunkt der Erde« hieß es, von dem Franzosen Jules Verne – er buchstabierte ihr den Namen, indes sie den Titel aufschrieb –, ein Buch, wie für Hamburger verfaßt, denn es begann in unserer Stadt, ein Hamburger Professor war der Held, einen alten Schmöker hatte der entdeckt, von einem Isländer geschrieben, Arne Saknussen, und von unserem Hafen brach er mit seinem Neffen auf, um auf Island nach Saknussens Anweisungen in einen erloschenen Vulkan hineinzusteigen und so bis in die Tiefen vorzudringen, wo allerhand Überraschungen und Abenteuer auf die beiden warteten. »Wird dem Albert Spaß machen, Stineken, was gilt die Wette?« Und er streichelte ihre Hand, die auf dem Tische lag, »und wenn er fertig ist, bring mir’s für einen Tag herauf, ich schmökre es selber nochmals durch. Kann dir dann besser Auskunft geben, wenn er mich was fragen läßt.«

Der Schlächtermeister Teetjen hatte keine deutliche Vorstellung von dem, was eigentlich einen Roman von einem sachlichen Bericht unterschied. In eine durchschnittliche gute hamburgische Volksschule gegangen, wußte er natürlich, daß es Dichter gab, und daß sie sich nicht haargenau an diejenige Wirklichkeit zu halten brauchten, die einem Buchhalter, einem Arzt oder einem Schullehrer als maßgebend gelten mußte. Selbstverständlich erzählten viele Leute Lügen, und die Märchen bestanden ganz und gar aus solchen



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